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Freiwillig. Stark!
Unsere Portraitserie "Freiwillig. Stark! Ehrenamt in Rostock – Gemeinsam für mehr Miteinander."
Niederdeutsch für Anfänger
Christine Stübe geht mit Kindern auf Entdeckertour durch Rostock und spricht dabei ausschließlich platt
Behutsam blättert Christine Stübe durch den Roman „Zwischen sieben Toren“. Sie kennt jede einzelne Zeile, jedes Wort. Sie hält ein Stück ihrer eigenen Familiengeschichte in der Hand. Der Autor der Erzählung, Theodor Jakobs, war ihr Onkel, ein Schriftsteller, ein Heimatliterat, jemand, der ihren eigenen Lebensweg geprägt hat. Christine Stübe zeigt sich eng verbunden mit Rostock. Sie liebt das Meer, die Stadt und ihre sichtbaren und verborgenen Schätze. Sie liebt die Kultur und versucht diese zu bewahren – einst als Buchhändlerin, heute im Ehrenamt. Sprache und Kultur sind eng miteinander verknüpft, sagt sie. Deshalb liegt es ihr am Herzen, das Plattdeutsche zur bewahren. „Mir selbst wurde plattdeutsch in die Wiege gelegt. Bei uns Zuhause wurde fast nur platt gesprochen“, erinnert sie sich.
Inzwischen versucht sie denjenigen plattdeutsch beizubringen, die kaum noch damit in Berührung kommen: Schülerinnen und Schülern. „Das Literaturhaus Rostock hatte jemanden gesucht, der Kinder an das Plattdeutsche heranführt – als zusätzliches Angebot an Ganztagsschulen.“ Nach ihrem Renteneintritt und dem Tod ihres Mannes fühlte sich dieser Aufruf für Christine Stübe an wie eine Befreiung. Nachdem sie zunächst an der Grundschule „An den Weiden“ in Toitenwinkel mit einer Gruppe von zehn Schülerinnen und Schülern plattdeutsch lernte, ist sie nun an der Hundertwassergesamtschule im Einsatz. Weil sie von Frontalunterricht wenig hält, geht sie mit den Kindern auf Entdeckertour durch Rostock. Hierbei wird ausschließlich plattdeutsch gesprochen. „Mir geht es darum, dass die Kinder einen Bezug zu der Sprache aufbauen, dass sie plattdeutsch verstehen und das wichtigste sprechen können. Dass sie also sagen können, wer sie sind und wo sie wohnen.“ Plattdeutsch hat zahlreiche Ausprägungen: „Die Stralsunder sprechen anderes Platt als die Rostocker. Beim Hamburger Platt muss ich mir große Mühe geben es zu verstehen und das Holsteiner Platt ist für mich eine andere Welt“, verdeutlicht Christine Stübe scherzhaft. Das norddeutsche Platt- oder Niederdeutsch gilt als eine anerkannte Regionalsprache mit Tradition und Aussagekraft.
In Toitenwinkel sei seinerzeit ein Musical entstanden: Der Bürgermeister des Märchenwaldes möchte die Bäume roden, um dort eine Autobahn zu bauen. Doch die Waldbewohner setzen sich für den Erhalt ein und können das Waldoberhaupt am Ende überzeugen. „Die Kinder sollen verstehen, dass es wichtig ist, abseits des eigenen Wohlergehens auch an andere zu denken“, so Stübe. „Andererseits können wir von den Kindern auch nicht mehr verlangen als von uns selbst. Sie spiegeln unser Verhalten, deshalb sollten wir ihnen auch Demut und Bescheidenheit beibringen, damit sie nicht alles als selbstverständlich hin- und wahrnehmen.“
Christine Stübe ist mittlerweile im fünften Jahr an der Hundertwassergesamtschule. Aktuell besteht die Plattdeutschgruppe aus vier Schülerinnen und Schüler. Immer dienstags fährt sie nach Lichtenhagen und holt die Kinder ab, mal zu einem Ausflug ins Universitätshauptgebäude, in das Zoologische Institut oder ins Rostocker Rathaus. Dabei erzählt sie Geschichten über Rostock – natürlich auf Platt. „Mich mit Kindern zu umgeben, macht mir sehr viel Spaß. Viele Rentnerinnen und Rentner versacken in ihrer Lethargie und werden altersegoistisch. Für mich ist das nichts“, betont Christine Stübe. Deshalb engagiert sie sich zusätzlich in einem Pflegeheim. Dort organisiert sie einmal im Monat eine plattdeutsche Vorlesestunde, meist in Begleitung eines Musikers oder einer Musikerin. Zeitgleich ist sie Mitglied im Verein Klönsnack-Rostocker 7. „Es gibt nur weniger junge Menschen, die plattdeutsch sprechen oder sprechen wollen.“ Christine Stübe bestärkt diese Situation. Und es bestärkt sie, weiter zu machen und noch lange nicht daran zu denken, die Füße hochzulegen.